Ermittlungsversäumnisse bei Polizei und Staatsanwaltschaft
Miethäusersyndikat Rhein-Main, Pressemitteilung, 07.01.2019
Der Täter des Brandanschlags in Hanau am 21. Dezember 2018 ist den Projekten des Mietshäuser Syndikats bekannt – Ermittlungsversäumnisse bei Polizei und Staatsanwaltschaft in der Anschlagsserie gegen linke Projekte.
Am 21. Dezember 2018 wurde ein Brandanschlag auf das autonome Kulturzentrum Metzgerstraße verübt. Der Täter hielt sich zunächst etwa eine Stunde im Zentrum auf und stellte sich einigen Gästen mit Namen vor. In dieser Zeit verwickelte er andere Anwesende in Gespräche über die vergangenen Brandstiftungen und eine für den nächsten Tag geplante Demonstration in Frankfurt, die anlässlich der Anschläge stattfinden sollte. Kurz vor Verlassen der Metzgerstraße legte er in einem Nebenraum mit Spiritus ein Feuer und flüchtete. Das Feuer wurde schnell bemerkt und gelöscht. Der Täter wurde wenige Minuten nach dem Anschlag am Hanauer Freiheitsplatz von Besucher*innen der Metzgerstraße gestellt und nachfolgend von der Polizei verhaftet. Es handelt sich um den 46-jährigen Joachim S. aus Frankfurt.
Der Anschlag auf das Kulturzentrum Metzgerstraße war bereits der neunte Brandanschlag auf linke, alternative Zentren und Wohnprojekte seit September 2018 (siehe hierzu die nachfolgende
Chronologie). Von den Anschlägen betroffen waren unter anderem drei Wohnprojekte aus dem Verbund des Mietshäuser Syndikats (MHS).
Joachim S. wurde schon am Folgetag, den 22. Dezember 2018, aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Zwar ist unstrittig, dass Joachim S. das Feuer in der Metzgerstraße gelegt hat, jedoch erkannten Polizei und Staatsanwaltschaft keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Anschlagsserie. Diese Erkenntnis ist nicht nachvollziehbar. Tatsächlich ist Joachim S. den Projekten des MHS seit 2015 bekannt. Von dieser Zeit an versuchte er Wohnprojekte des MHS existenziell zu schädigen. Er denunzierte von 2015 bis 2017 dutzende MHS-Projekte wegen Formfehlern bei den Behörden. Er durchforstete akribisch die öffentlich einsehbaren Bilanzen und Internetseiten der Projekte und meldete kleinste Fehler – wie zum Beispiel fehlerhafte Impressen und Disclaimer oder Rechen- und Übertragungsfehler in Bilanzen – den Amtsgerichten oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Betroffen hiervon war 2015 unter anderem der Knotenpunkt in Schwalbach im Taunus, der von S. bei der BaFin wegen eines Rechenfehlers gemeldet wurde – am 14. September 2018 brannte das Projekt infolge von Brandstiftung fast vollständig aus. In einigen Fällen beschaffte er sich auch die Namen von Gesellschafter*innen von Syndikatsprojekten – betroffen war auch das Wohnprojekt Assenland in Frankfurt, bei dem am 13. November ein Feuer gelegt wurde. Darüber hinaus spähte S. mutmaßlich Wohnhäuser aus, schaute sich Klingelschilder an und verfasste gefälschte Schreiben mit haltlosen Unterlassungsgeboten. Ohne Zweifel pflegt S. eine Obsession gegen Projekte des MHS. Vor diesem Hintergrund müssen wir davon ausgehen, dass S. in die gesamte Anschlagsserie involviert ist.
Die Polizei hat seit dem Anschlag auf die Metzgerstraße zu keinem einzigen betroffenen Projekt Kontakt aufgenommen oder nachgefragt, ob Joachim S. bekannt ist. Und während die Hanauer Staatsanwaltschaft sich weigerte, zwischen der Brandstiftung in der Metzgerstraße und den anderen Anschlägen einen Zusammenhang zu erkennen und ernsthaft zu ermitteln, mussten wir die Bezüge zwischen Joachim S. und dem MHS in den letzten Wochen selbst recherchieren und zusammentragen.
Wir wissen nicht, ob Joachim S. in rechten Gruppen und Szenen organisiert ist. Die Auswahl der angegriffenen Projekte spricht jedoch eine eindeutige Sprache: Das Kulturzentrum Metzgerstraße, in dem Joachim S. das Feuer legte, ebenso wie die Anschlagsziele Café ExZess, das besetzte Haus »In der AU«, das Lila Luftschluss und die betroffenen Syndikats-Projekte stehen für linke und alternative Wohnformen und Lebensweisen. In der Anschlagsserie drückt sich die Feindschaft und Bekämpfung eben jener linken Praxen aus. Einer Entpolitisierung der Anschläge – die sich unter anderem auch in der Weigerung der Ermittlungsbehörden ausdrückt, den Seriencharakter anzuerkennen – widersprechen wir vehement.
Wir werfen Polizei und Staatsanwaltschaft eklatante Ermittlungsversäumnisse vor, die sich nur schwerlich mit Pannen und handwerklichen Fehlern erklären lassen. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen nun erklären:
– Was lässt die Staatsanwaltschaft glauben, dass der Brandanschlag im Kulturzentrum Metzgerstraße in keinem Zusammenhang mit den anderen Anschlägen steht?
– Welche Ermittlungsschritte gegen Joachim S. hat die Polizei unternommen?
– Wieso hat die Polizei nach dem Anschlag auf die Metzgerstraße mit keinem betroffenen Projekt Kontakt aufgenommen, um Informationen über Joachim S. zu erhalten?
– Warum weigern sich Polizei und Staatsanwaltschaft immer noch, den politischen Hintergrund der Anschlagsserie anzuerkennen?
Wir stellen angesichts der (Nicht-)Ermittlungen fest, dass die Polizei die Serie von Brandanschlägen auf linke und alternative Projekte weiterhin bagatellisiert und uns als Betroffene nicht ernst nimmt. Es wird ignoriert, dass bei einzelnen Anschlägen beträchtlicher Schaden entstand, dass Menschen ihr Hab und Gut verloren und dass in mehreren Fällen das Leben der in den Häusern befindlichen Personen erheblich gefährdet war.
Obgleich wir wenig Vertrauen in die polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungsarbeit haben, haben wir unsere Erkenntnisse über Joachim S. heute über unsere Anwältin den zuständigen Staatsanwaltschaften zukommen lassen.
Abschließend möchten wir betonen: Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir wehren uns auch zukünftig gegen verbale Hetze gegen linke Projekte und Strukturen, die Personen wie Joachim S. die Stichworte für ihre Taten liefert. Wir stellen uns gegen alte und neue Nazis und all ihre bürgerlichen Unterstützer*innen, die den gesellschaftlichen Rechtsruck vorantreiben – sei es in den kommunalen Parlamenten oder auf der Straße. Wir helfen uns gegenseitig beim Wiederaufbau unserer Häuser und Projekte sowie bei deren Schutz. Seit den Angriffen haben wir viel Solidarität und Unterstützung erfahren, für die wir uns bedanken wollen. Wir gehen gestärkt und mit neuen Freund*innen aus den Angriffen hervor. Unser Zusammenhalt ist stärker als Hetze und Gewalt.
Chronologie der Anschlagserie
14. September 2018, Schwalbach / Ts.
Ein Feuer, das auf dem Grundstück des MHS-Projekts »Knotenpunkt« gelegt wird, greift auf die Scheune und das Wohnhaus über. Die Wohnräume im oberen Stock brennen völlig aus. Eine Person, die sich im Haus aufhält, bemerkt das Feuer rechtzeitig und flüchtet ins Freie. Der Sachschaden beträgt über 200.000 €.
13. November 2018, Frankfurt-Rödelheim
Im besetzten Haus »In der AU« wird ein Brand an der Rückwand eines Schuppens entdeckt und gelöscht, bevor er übergreifen kann. 45 Minuten später brennt beim MHS-Projekt Assenland ein Sichtschutzzaun. Da es zuvor geregnet hat und der Zaun feucht ist, richtet das Feuer nur geringen Schaden an und geht von alleine aus.
15. November 2018, Frankfurt-Rödelheim
Gegen 23 Uhr wird eine Hütte im Vorgarten der AU angezündet. Der Brand wird sofort entdeckt und gelöscht. Am Tag danach werden Brandspuren am Reifen eines in der Seitenstraße der AU stehenden Fahrzeuges entdeckt, welches von den Täter*innen offensichtlich der AU zugeordnet wurde.
3. Dezember 2018, Hanau
Ein als Gartenlaube genutzter Bauwagen auf dem Gelände des Wohnprojektes »Schwarze 79« wird in Brand gesetzt und schwer beschädigt. Auch die »Schwarze 79« gehört dem MHS-Projektverbund an.
9. und 10. Dezember 2018, Frankfurt-Bockenheim
An zwei aufeinander folgenden Abenden werden Brände am »Café ExZess« gelegt, die jeweils von den anwesenden Besucher*innen gelöscht werden können.
12. Dezember 2018, Frankfurt-Nordend
Beim feministischen Wohnprojekt »Lila Luftschloss« gerät Isoliermaterial und Kunststoff in Brand. 20 Personen, die sich im Haus befinden, werden von der Feuerwehr evakuiert. Auch hier bestätigt sich Brandstiftung als Ursache.
21. Dezember 2018, Hanau
In den Räumen des autonomen Kulturzentrums »Metzgerstraße« wird ein Feuer gelegt. Es kann schnell gelöscht werden. Der Täter flüchtet und wird von Besucher*innen der »Metzgerstraße« verfolgt und gestellt.
Miethäusersyndikat Rhein-Main, Pressemitteilung, 07.01.2019
Brandanschläge in Hanau Die linke Szene rückt zusammen
Nach den beiden Brandanschlägen auf linke Projekte in Hanau bekräftigen die Aktivisten ihre Kritik an den Sicherheitsbehörden.
Zahlreiche Graffiti prägen die Fassaden des autonomen Kulturzentrums in der Hanauer Metzgerstraße. Die Sprüche an den Außen- und Innenwänden des besetzten Hauses – wie „Solidarität statt Spaltung“ oder „Gegen Umstrukturierung, Gentrifizierung und Vertreibungspolitik“ – sollen keine hohlen Phrasen sein, sondern Programm. So wie am Montag: Fünf Geflüchtete tragen sich in eine Liste ein und vertreiben sich dann die Wartezeit, indem sie Tischfußball spielen. Wie etwa 15 andere sind sie am Nachmittag zum Flüchtlingscafé gekommen. Hier werden sie kostenlos und umfassend beraten, zum Beispiel bei Problemen mit der Ausländerbehörde. Oft ist es ein Kampf.
Hinten in der Küche wird gekocht, es riecht nach Tomaten und Knoblauch. Beim Treffen des „BesetzerInnenrates“ am Abend gibt es Feldsalat, Nudeln und intensive politische Diskussionen. Einerseits ein Tag wie viele andere in der Metzgerstraße, andererseits ganz und gar nicht. Darauf deutet die Broschüre hin, die an der Pinnwand hängt. Titel: „Brandschutz für besetzte Häuser und überhaupt“. Daneben ein eng beschriebener Zettel mit Schutzmaßnahmen. „Scheiße“ sei das, was passiert ist, sagt einer der Betreiber, „aber wir haben gut reagiert und lassen uns auf keinen Fall einschüchtern“.Anfang Dezember brannte auf dem Gelände des Wohnprojekts „Schwarze 79“, wo Leute aus der Metzgerstraße leben, ein Bauwagen aus. Kurz vor Weihnachten brach in einem Nebenraum des Kulturzentrums ein Feuer aus. Besucher löschten es, verfolgten den mutmaßlichen Brandstifter und hielten ihn fest, bis die Polizei kam.
Die Brände gehören offenbar zu einer Reihe von Anschlägen gegen linke Initiativen. Wie das Mietshäuser Syndikat Rhein-Main öffentlich machte, soll der in Hanau gefasste Verdächtige linke Projekte ausgeforscht und versucht haben, sie bei Behörden wegen Kleinigkeiten anzuschwärzen – auch die Hanauer Wohngruppe, weil sie die Adresse ihrer GmbH zu spät aktualisiert hatte.
Am 21. Dezember besuchte der Frankfurter den Kneipenabend in der Metzgerstraße. „Er war irgendwie merkwürdig. Machte Witze über das rechtsextreme Netzwerk bei der Frankfurter Polizei und erkundigte sich nach der Demo gegen die Brandserie, die am 22. stattfand“, erinnert sich ein Gast. Gegen 22.30 Uhr betrat der 46-Jährige den Werkzeugraum, kam kurz danach wieder raus und ging gleich zum Ausgang. Eine Frau fragte ihn, ob er das Klo suche, doch er reagierte nicht. „Wir schauten im Raum nach und löschten das Feuer. Wegen des Brandes in der ,Schwarzen 79‘ waren wir vorbereitet. Es war fast nur eine Frage der Zeit, bis es jemand in der Metzgerstraße versuchen würde“, sagt einer der Macher. Er steht vor dem Raum, der mit einer Kette verschlossen ist. Durch den Schlitz sind Regale, Farbeimer, Werkzeuge und viel Löschpulver zu sehen.
Einst war in der Metzgerstraße 8 der Nachtclub Moulin Rouge. Nach Einführung der Sperrstunde machte der Betreiber zu. Das Gebäude stand leer, verfiel und wurde schließlich 1986 von jungen Leuten besetzt. Sie schafften einen festen Platz für linke, alternative Kultur und politische Aktionen, kämpften zum Beispiel gegen die Hanauer Atombetriebe. Heute veranstalten sie etwa Konzerte und Lesungen, setzen sich aber auch für Geflüchtete, Erwerbslose und gegen die Gentrifizierung in Hanau ein. „Die Metzgerstraße gehört in der Region zu den zentralen linksalternativen Orten. Wir stehen für Antifaschismus und Solidarität. Es ist auch ein Anschlag auf unsere Einstellung“, sagt ein Unterstützer. Die linke Szene rücke jetzt noch weiter zusammen, unterstütze sich gegenseitig.
Die Betreiber der Metzgerstraße schließen sich der Kritik des Mietshäuser Syndikats an den Sicherheitsbehörden an. Auch sie werfen Polizei und Staatsanwaltschaft schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen vor. Ein Mann, der am 21. Dezember in der Metzgerstraße war, berichtet zum Beispiel: „Weil am Tatabend kein Brandermittler verfügbar war, kündigte die Polizei an, am 27. wiederzukommen. Als ich am 26. dort anrief, wurde der Termin abgesagt. Man hielt den Fall offensichtlich nicht für dringend.“ Dabei habe ein Polizist am 21. noch gesagt, das Feuer hätte auch wegen der Enge katastrophal enden können, wenn es etwas länger gebrannt hätte.
Die Staatsanwaltschaft weist die Vorwürfe zurück und begründet dies unter anderem damit, dass noch in der Nacht auf den 22. Dezember mögliche Beweismittel beim Tatverdächtigen sichergestellt wurden. Der erwähnte Termin zwischen den Jahren sei nicht bekannt. Die Behörde sieht bisher mangelnde Kooperationsbereitschaft in der Metzgerstraße und der „Schwarzen 79“; die Beteiligten hätten Ermittlern und Vernehmungen ablehnend gegenübergestanden und nur eine eingeschränkte Begehung des Tatorts zugelassen. Die Ermittlungen seien umfassend und intensiv, sagt Oberstaatsanwältin Gabriele Türmer, die für Fälle mit politischem Hintergrund zuständig ist. Betroffene widersprechen. Sie hätten der Polizei nach den Bränden in der „Schwarzen 79“ und der Metzgerstraße Zutritt gewährt und alle relevanten Informationen gegeben – auch über den möglichen Zusammenhang zu den anderen Anschlägen. Sie kritisieren aber, dass bei der Polizei jetzt die Staatsschutzabteilung federführend sei. „Wir haben kein Interesse am Staatsschutz“, sagt ein Bewohner. Er und andere befürchten rechte Strukturen unter Staatsschützern, die bei ihren Nachforschungen auch Informationen über die linke Szene sammeln könnten. Türmer weist auch dies zurück.
Für zusätzliches Misstrauen soll eine Ermittlerin gesorgt haben, welche sich auf dem Grundstück der „Schwarzen 79“ umsah, ohne vorher zu klingeln und sich anzumelden. Mitglieder der Wohngruppe und der Metzgerstraße haben der Staatsanwaltschaft mittlerweile über eine Anwältin weitere Informationen zukommen lassen.Unabhängig von den Ermittlungen wollen die Hanauer zwar die Augen offen halten, sich aber nicht verunsichern lassen: „Wir sind wachsam, klar, aber gelassen“, sagt eine langjährige Aktivistin.
Aus der Hanauer Kommunalpolitik hat bislang einzig die Alternative Linke Liste Solidarität bekundet (ALL). „Der Brandanschlag gegen das Zentrum wurde augenscheinlich verübt, um seinen Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung, sein Eintreten für Humanität und Menschenrechte zu zerschlagen“, schreibt die ALL. Das Zentrum zeige „in seinem sozialen und kulturellen Engagement, dass eine andere Welt – auch in der Praxis – möglich ist.“ http://www.fr.de/rhein-main/alle-gemeinden/main-kinzig-kreis/brandanschlaege-in-hanau-die-linke-szene-rueckt-zusammen-a-1650673