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Wenn Solidarität zur Maske wird – ein Aufruf aus der RM16

Unter dem Banner linker Bewegungsrethorik: autoritäre Dynamiken in einem linken Wohnprojekt

Die RM16 steht vor einer Zerreißprobe. Was über Jahrzehnte als selbstverwaltetes Wohnprojekt mit solidarischem Anspruch gewachsen ist, wird aktuell durch massive Konflikte erschüttert – Konflikte, die längst über das Haus hinausreichen. Was wir erleben, ist keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, sondern eine Dynamik aus Einschüchterung, Machtansprüchen und gezielter Delegitimierung von Bewohner*innen.

Mit diesem Text wollen wir, drei langjährige Bewohner*innen des Hauses, unsere Perspektive sichtbar machen – als Menschen, die für eine solidarische und emanzipatorische Praxis einstehen möchten. Wir wollen Klarheit schaffen über das, was hier geschieht. Und wir rufen dazu auf, Position zu beziehen gegen Verdrängung, gegen psychische Gewalt – und für den Schutz linker Räume vor autoritärem und ausgrenzendem Verhalten, das sich als progressiv und solidarisch tarnt.

Was ist die RM16?
Die RM16 ist seit über 25 Jahren ein selbstverwaltetes Hausprojekt in Dresden. 1999 besetzt, 2014 mit dem Mietshäuser Syndikat gekauft, wurde und wird es mit viel Solidarität, Eigenarbeit, Zeit und Energie saniert – in einem kontinuierlichen Spagat zwischen Baustelle, Leben und politischem Anspruch. Die Miete liegt bis heute bei 4,50 € pro Quadratmeter, während der Wohnkomfort durch gemeinschaftlichen Ausbau stetig gestiegen ist.
Das Leben in der RM16 war mitunter anstrengend: Es gab Naziangriffe, Überlastung, persönliche Umbrüche – und auch Konflikte, die sich nicht immer auflösen ließen. Viele Menschen sind gekommen und gegangen. Manche waren für kurze Zeit, andere über Jahre Teil dieses Projekts. In der RM16 gab es immer eine relativ hohe Fluktuation und keine total gesettlete und stabile Gruppe. Dafür aber viel Offenheit und die Möglichkeit mit Menschen verschiedener Einstellungen, Lebensrealitäten und Einkommen zusammen zu wohnen.

Die RM16 bietet Einzelzimmer mit gemeinschaftlich genutzten Funktionsräumen – aktuell für bis zu 12, perspektivisch für 15 Menschen. Es gibt nur eine große Wohnküche und zwei Bäder. Dieses Modell spart Platz, aber braucht ein hohes Maß an Rücksichtnahme, Abstimmung und sozialer Kompetenz. Neben Wohnraum, gibt es im Haus Veranstaltungsflächen, die zum Großteil saniert, jedoch noch nicht fertig sind. (weitere Infos zum Projekt auf http://rm16.de)

Im Laufe der Jahre gab es Konflikte, die wir nicht immer gut lösen konnten. In Krisensituationen, wie beispielsweise nach Naziangriffen, hätten wir uns mehr um gemeinsame Bewältigungsstrategien bemühen müssen. Gerade die sehr inhomogene Gruppe mit etlichen Bewohner*innenwechseln hätte ein oft einen genaueren Blick auf die einzelnen Bedürfnisse bedurft, wir hätten mehr Energie in Gruppenprozesse stecken können – auch um Wissenshierarchien bewusster zu gestalten. Zudem war es nicht immer leicht, unsere eigenen Kapazitäten bei der Aufnahme neuer Mitbewohner*innen realistisch einzuschätzen. Ein Konflikt in Folge eines Vorfalls Anfang 2024 war Anlass zum Auszug mehrere Bewohner*innen. Von Mai bis August 2024 wohnten 5 Menschen im Haus.

Neue Bewohner*innen und Gruppenprozess
Im Mai 2024 trat eine Gruppe von 6 Erwachsen und einem Kind mit dem Wunsch, ins Haus einzuziehen, an uns heran. Nach einem relativ kurzen, aber intensiven Austausch, bei dem auch politische Unterschiede deutlich wurden, verständigten wir uns gemeinsam auf ein halbes Jahr Probewohnen. Danach sollte die bisherige Hausgruppe im Konsens entscheiden, ob ein dauerhaftes Zusammenleben möglich ist. Die Absprache war, sollte der Konsens nicht erreicht werden, muss die neue Gruppe wieder ausziehen. So sah es das Selbstverständnis der RM16 vor. Ein alternatives Angebot, kostenfrei und probeweise für zwei Monate im Projekt zu wohnen wurde von der neuen Gruppe abgelehnt.

Schon Ende Oktober 24 zeigten sich Probleme: Statt eines gemeinsamen Gruppenbildungsprozesses sah sich die neue Gruppe bald in einer selbstgewählten Moderationsrolle für einen bestehenden Konflikt. Dieser wurde allerdings nicht deeskaliert, sondern dominierte zunehmend den Alltag. Bereits an dieser Stelle entstand eine Gruppendynamik, in der Ab- und Ausgrenzung zum zentralen Moment der Gruppenbildung wurden. Versuche, das Zusammenleben neu zu sortieren und im Sinne eines Kollektivs aller Bewohnenden zu gestalten, scheiterten. Bei der vereinbarten Evaluation im März war klar: Eine gemeinsame Hausgruppe hatte sich nicht entwickelt. Die neue Gruppe machte ausschließlich zwei langjährige Bewohner*innen für das Scheitern verantwortlich. Als einzigen Weg sah sie deren „Verhaltensänderung“ oder Rückzug – obwohl auch andere Konflikte im Raum standen. Das entsprach nicht der Vereinbarung, die wir vorab getroffen hatten.

Eskalation und Gewalt
Es folgten Drohungen, gezielte Einschüchterung und systematische Ausgrenzung. Alltagskommunikation wurde verweigert, Türen vor der Nase zugeschlagen, uns wurde pauschal unterstellt, wir würden stehlen, lügen und manipulieren. Wir wurden aus dem gemeinschaftlich gezahlten WLAN ausgesperrt. Auch wenn es absurd erscheint: Damit wurde versucht Zugangsdaten von persönlichen Zugängen zu GmbH und Vereins Girokonten zu erpressen.
Personen, die nicht im Haus wohnen, wurden „abgestellt“, um uns in Gemeinschaftsräumen zu überwachen. In das von Hausbewohnenden, mehreren Vereinen und der Haus-GmbH genutzte Büro wurde von Quentin¹ eigenmächtig ein Schloss eingebaut – mit Zustimmung weiterer Gruppenmitglieder. Damit wurden wir als Bewohner*innen, Vereinsvorstände und Geschäftsführung aus unserem gemeinschaftlichen Büro ausgesperrt. Als eine von uns sich zum Gespräch an den Küchentisch setzen wollte, versperrte ihr Quentin mit der Aussage, sie sei nicht mehr Teil der „Community“ körperlich den Weg zum Tisch. Gesprächsversuche wurden von ihm mit „keine Diskussion“ abgeblockt. Eine weitere Anwesende kommentierte ihr irritiertes Gesicht mit, sie würde „auch gleich heulen“, andere schwiegen oder unterstützten Quentins Vorgehen. Als Anlass der Eskalation wurde ein vom Vorstand zunächst zur Digitalisierung  entnommener, später aufgrund der Umstände weiter gesicherter Vereinsordner angeführt.

Weitere unserer Gesprächsversuche, um Zugang zum Büro zu bekommen, scheiterten. Nachdem wir rechtliche Schritte einleiteten, wurde uns vorgeworfen, mit Repressionsbehörden zu kooperieren. Inzwischen versucht die Gruppe, uns mit Kündigungen unserer Mietverträge aus dem Haus zu drängen, den Hausverein zu übernehmen und unseren Freund*innen Hausverbote zu erteilen.

Wir beobachten in diesem Zusammenhang das Quentin mit verbaler und körperlicher Gewalt bevorzugt gegen FLINTA(-Stimmen) vorgeht. Immer wieder wird von ähnlichen Mustern psychischen Drucks und Gewaltandrohungen in anderen Projekten und bei Veranstaltungen berichtet. Einige Betroffene schweigen aus Angst vor Angriffen oder Rufschädigung.

Quentin, der mehrfach im Zentrum der Eskalationen stand, hat zuletzt eine langjährige Bewohner*in der RM16 minutenlang angeschrien und beleidigt: Sie sei ein „mieses Stück Scheiße“, das bald im Eigenheim wohne – „von Nazis beschützt“ –, während er selbst abgeschoben würde oder ins KZ käme. Dass Nazis das Hausprojekt zweimal anzündeten, spielte dabei keine Rolle. Vor einer Jugendlichen untersagte er einer Mitbewohner*in das Betreten einer an sein Zimmer angrenzender Gemeinschaftsfläche – für Zuwiderhandlung drohte er unter Verwendung gewaltvoller Kriegsmetaphern Konsequenzen an. Einer anderen Person sagte er, sie begehe „politischen Selbstmord“, wenn sie uns weiterhin unterstütze.

Das ist keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Das ist keine Konfliktkultur. Das ist Gewalt.

Noch im März wünschten wir uns Konfliktklärung und waren bereit für einen konstruktiven Gruppenprozess. Die neue Gruppe lehnte das ab. Stattdessen wurde der Konflikt strategisch nach außen getragen – mit dem Ziel, die Erzählung zu kontrollieren: Wir seien autoritär, manipulativ, zu alt, zu lange da, zu wenig offen. Wir würden das Haus wie Privateigentum behandeln. Damit werden Geschichte, Engagement und realer Beitrag der Menschen, die dieses Projekt – eben kein Eigenheim – aufgebaut haben, entwertet. Die Gewalt wird umgedeutet, Betroffene werden zu Täter*innen gemacht.

Dass eine Gruppe, die selbst bereits mit Herausforderungen beim Aufbau eines Projekts konfrontiert war, sich nun mit Mobbing, Gewalt und Szenetratsch Raum in einem bestehenden Projekt nimmt, ist inakzeptabel. Die Chance auf Kooperation wurde verspielt. Jetzt soll genommen werden, was selbst nicht aufgebaut wurde, unter dem Deckmantel linker Rhetorik und eines fragwürdigen Solidaritätsbegriffs.

Wer Anspruch auf etwas erhebt, das ihnen bisher nicht zur Verfügung stand, und diesen mit Druck durchsetzt, braucht eine schlüssige Erzählung. Vor diesem Hintergrund erscheint uns vieles nicht mehr als unglücklicher Verlauf, sondern als bewusste Strategie.

Wir halten es für notwendig, über diese Vorgänge zu sprechen. Schweigen im Namen des „Nestschutzes“ schützt nicht emanzipatorische Strukturen – es schützt Täter*innen. Es geht um die Frage, wie wir mit Macht, Konflikt und Differenz umgehen und wie wir verhindern, dass linke Räume dieselben gewaltvollen Dynamiken reproduzieren wie die Gesellschaft, von der sie sich abgrenzen will.

Wie weiter mit der RM16?
Wir denken, dass die neue Gruppe bzw. Teile davon, mit ihren Verhalten alles was ihnen nicht passt auszugrenzen und zu diffamieren, nicht in der Lage sein wird ein solidarisches Hausprojekt weiterzubetreiben. Sobald es Probleme gibt, würden andere Umstände dafür verantwortlich gemacht. Wir haben Angst davor, dass die RM 16 zukünftig kein Ort mehr sein wird, an dem Menschen unterschiedlichster Hintergründe, Generationen und Lebensrealitäten gemeinsam leben, voneinander lernen und sich gegenseitig stärken können.


Unsere Wünsche
Wir bitten euch um Unterstützung. Nicht nur für uns drei, sondern für emanzipatorische Strukturen, in der Gewalt benennbar bleibt. Für Strukturen, in der nicht diejenigen vertrieben werden, die am lautesten bedroht werden, sondern diejenigen, die andere systematisch einschüchtern. Für ein Hausprojekt, welches weiterhin offen, solidarisch, antifaschistisch und emanzipatorisch sein will. In dem Angst, Hass und Machtmissbrauch nicht zum Alltag gehören.
Wenn ihr Sachen hört, die euch irritieren – auch zu dem Vorfall Anfang 2024, sprecht uns an, oder meldet euch gern per Email.

Wir fordern:
Kein Täterschutz. Keine Verdrängung oder Rausmobben von Mieter*innen. Keine Duldung von Gewalt in linken Strukturen.

RM16 bleibt solidarisch. RM16 bleibt feministisch. RM16 bleibt.

Bei Fragen oder Gesprächswünschen schreibt uns gern an paula.haus@systemli.org

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1 – Name geändert